KULTURPORT.de

Von Claus Friede,

07.10.12


Er ist kein bloßes konzertantes Instrument, das steht fest. In Patrick Süskinds Novelle „Der Kontrabass“, seinem einzigen Theaterstück, aber auf deutschen Bühnen meistgespielt, wechseln tragisch-komische und tiefsinnig-heitere Momente im Minutentakt. Auf dem Spielfeld des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg eröffnete das Stück ganz neue Horizonte.


Max Claessen lieferte ein Regie-Meisterstück ab, dass durch das Spiel von Stephan Schad, Solofigur und Kontrabassist, und der die und seine Welt erklärt, zu einem grandiosen Premierenabend wurde. Henning Kiehn am Bass, als Alterego und einfühlsamer Musiker an einem Instrument, das niemals solo sein möch-te und auch im Duett Komposition sucht. Seine Stimme ist wunderbar und sein Spiel erdig, sein Gestus zurückhaltend. Er kennt die Begrenzungen seines Kontrabasses. Das Outfit, weiße Hose mit Glitzerfigür-chen ging schon in den 80er-Jahren haarscharf vorbei.

Der Mann ist 49 Jahre alt, etwas spießig, Beamter, Mitarbeiter in einem Unternehmen namens Staats-orchester, Kontrabassist am dritten Pult. Er liebt Bach und hasst Wagner, unterschlägt hier und da im Spiel gerne Noten, teilweise viele Noten, am liebsten bei Gastdirigenten und erklärt die Welt der Musik, die ohne den Kontrabass sich nicht drehen würde. Er oszilliert in Monologen zwischen Liebe und Hass zu seinem Instrument und der Orchesterwelt. Er stillt seinen Feuchtigkeitsverlust mit Bier und hat sich verliebt – in die Sopranistin, nein, Mezzosopranistin Sarah, 23, doch sie geht nicht mit ihm aus zum Fischessen, sondern mit jemand anderen. Schuld für das Scheitern – wie könnte es anders sein – ist der Kontrabass.


Stephan Schad ist die Rolle wie auf den Leib geschnitten und er hat sich über ein Jahr darauf vorbereitet. Das merkt man vom ersten Augenblick an. Er fliegt über den Text, der längst keiner mehr ist, sondern Er-klärung, Lamento, Lehre und Witz. Die Präzision in der Einfühlsamkeit, im Humor, in den Zäsuren, Brüch-en und Stimmungsschwankungen und dem feinen Rhythmus, verrät ein sensationelles Timing. Die Worte sitzen, die Sprache besticht, die Geschwindigkeit glaubwürdig, die Stimmlage gewechselt, der Schrei durchdringt. Kafkaeske Augenblicke werfen den Musiker auf sich selbst zurück. Der Bass ist kein Instru-ment, er ist Welt und Leben, Partner und Voyeur, Last und gnadenlos gut, weil er alle anderen an die Wand spielen kann.

Seine Wohnung scheint in ihrer musikalischen Schallisolation ebenso neurotisch wie der Protagonist, der sich in ihr aufhält. Das Instrument ist selbst im Ruhezustand Bedrohung und reisen mit ihm macht auch keinen Spaß. Das Ding macht ihn fertig, da hilft auch keine Arroganz oder Überheblichkeit. Der innige Augenblick als Schad mit angedeuteter Falsettstimme Dorabellas Arienschmerz aus Mozarts ‚Così fan tutte’ singt, kennt nicht nur plötzlich Obertöne, sondern gebärdet sich als Erkenntnis- und Wendepunkt.

Schließlich kommt er auf den Trichter: Es geht letztlich um Freiheit, sich lösen, der orchestralen Masse entgleiten zu können. Ferne Sehnsucht, unerreichbar für einen beamteten Nörgler. Stephan Schad steht am Ende im braunen Frack da, fein gekleidet und gut duftend – zumindest unter einer Achsel – und kämpft mit dem Innenleben eines einsamen Menschen.


Geist und Witz ist eine unschlagbar gute und überzeugende Kombination.
























Hamburger Abendblatt

08.10.12


"Der Kontrabass" spielt sich in die Herzen

Stephan Schad durchdringt die Welt in Patrick Süskinds Monolog am Schauspielhaus


Hamburg. Dieses Stück ist ziemlich genial. Es ist der Gedanke, der einem immer wieder kommt während des 90-minütigen Monologs "Der Kontrabass" im Schauspielhaus, ein so einfaches Stück, das einem doch alles erklärt: die Musik, die Gesellschaft, das Leben. Wie konnte dieses Stück entstehen? Man fragt es sich ständig und stellt sich Szenarien vor, leider gibt Patrick Süskind ("Das Parfum"), der Autor des Theatertextes, ja keine Interviews. Aber er hatte einen Jugendfreund, das erfährt man aus dem Pro-grammheft, der Kontrabass spielte, und so muss es gewesen sein: dass die beiden immer wieder zu-sammensaßen und der Freund ins Erzählen kam, über sein Instrument ("Ohne uns geht es nicht") und seine Stellung im Orchester ("Kein Schwein nimmt uns wahr"); und in all dem muss so viel Komik und Tragik gleichzeitig gelegen haben, dass Süskind daraus einen Monolog machte, wobei der Freund genauso gewesen sein muss wie Stephan Schad.

Schad wandert barfuß über die Bühne, lamentiert, referiert, trinkt sein Bier, schreit und schweigt - an den immer richtigen Stellen. Man lacht viel mit, man hört immer zu. Alles an diesem Abend ist aus einem Guss: das zurückgenommene Bühnenbild (Oliver Helf, Licht: Wolfgang Schünemann), die leise Drama-turgie (Max Claessen), die musikali-schen Kontrapunkte von Henning Kiehn. An ihm, dem Kontrabassis-ten, reibt sich Schad das ganze Stück über, und der Musiker erträgt das mit einem Gesichtsausdruck, um den man ihn von Anfang an beneidet. Er trägt das beste Outfit des Abends: dunkelblaues Westernhemd, weiße Krawatte, weiße Schlaghose mit Paillettenapplikationen. Er passt so gar nicht zum zeternden Schad, der sich in Schlammfarben kleidet, als wollte er sich vor der Welt tarnen, in seinem schallisolierten Zimmer mit Kontrabass.

Stephan Schad lobpreist sein Instrument ("Das Fundament, auf dem sich dieses ganze herrliche Gebäude erhebt"), beschimpft sein Instrument ("Das ist kein Instrument, das ist ein Hindernis"). Er entlarvt sich als Handwerker des Orchesters und dann doch wieder als Künstler, als Leidender, unglücklich Verliebter. Da hat einer die ganze Welt verstanden, hat sie bis ins kleinste Detail durch-drungen - und die tollen Frauen rennen doch zu den anderen. So ist er, der Lauf der Dinge, und vergnüglicher als im Schauspielhaus bekommt man das derzeit nirgends erklärt. Viel Applaus und glückliche Gesichter. (hell)


























GODOT Das Hamburger Theatermagazin

www.godot-hamburg.de


von Hans-Peter Kurr

09.10.12


Als ich dieses unglaublich faszinierende Stück vor über 20 Jahren mit dem (damals) jungen Nikolaus Paryla zum ersten Mal sah, war ich sicher, dass man es nicht souveräner spielen könne. Jetzt musste ich mich, zu meiner Freude, im Deutschen Schauspielhaus eines Besseren belehren lassen: Stephan Schad macht, mit Hilfe des Regisseurs Max Claessen, aus dem „Underdog“ und Kontrabassisten, des-sen zerrüttetes Persönlichkeitsbild Patrick Süskind so genial geschrieben hat, eine Studie, wie sie wirk-lich präziser nicht sein kann. Was für ein wundervoller Schau­spieler. Immer, wenn man denkt, jetzt hätte er den Vorrat an erlernten Facetten erschöpft, die ihm zur Verfügung stehen, überrascht er den Zuschauer mit einer neuen, umwerfenderen. Und das knapp 90 Minuten lang!

Massenerfolge (und Süskinds einziges Theaterstück gehört neben seinem berühmten Roman „Das Parfüm“ dazu) nach fast einem Vierteljahrhundert nachzuprüfen, bedeutet ein höchst aufregendes Unternehmen, erst recht, wenn es einem Schauspieler gelingt, ein derart dichtes Psychogramm, ein Drama ohne Helden und fast ohne Handlung, ja fast ohne Anfang und Ende so adäquat zu instrumen-tieren. Denn: Thema des Stückes ist eine rein zuständliche Verhaltensweise, ein Mix aus Fatalität, Ab-surdität, Aussichtslosigkeit, Lieb- und Hoffnungslosigkeit. Hier singt einer sein persön-liches Elendslied.

Aber es kommt in dieser Produktion noch besser: Das Team hatte die Idee, einen professionellen Kon-trabassisten – sozu­sagen als Paradoxon, das man Playback-Live nennen könnte – einzu-setzen und fand den kongenialen Mitgestalter im Komponisten Henning Kiehn. Durch ihn wird die Klage geschöpf-licher Glücklosigkeit zusätzlich in mannigfaltigen und sehr anrührenden Stufungen variiert. Unendlich musikalisch, aber auch witzig.

Mag sein, dass unsere lärmgeplagten Ohren an einem solchen Abend dankbar empfänglich werden für die humanen Nuancen und Schattierungen, der Süskind’schen Grundlitanei – fest­steht: Ohne dieses wundervolle Team von Darsteller, Musiker und Regisseur hätte der Abend nicht das werden können, was er ist: Eine Produktion ohne Pathos, aber mit der Gnade einer wirklich großen künstlerischen Tat.


Bergedorfer Zeitung

Zwei Männer spielen ein Ein-Personen-Stück

von Thomas Voigt, 8.11.13

Bergedorf. Wer Patrick Süskinds puristischen Einakter "Der Kontrabass" kennt und mag und zudem dessen werkgetreue Umsetzung zu schätzen weiß, dürfte mit dieser Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses zunächst einmal eines haben: ein Problem. Ein Mann, ein Stuhl, ein Kontrabass, ein paar Flaschen Bier und der schonungslose Seelenstriptease eines kampferprobten Verlierers - so weit die Vorlage. In der Bühnenproduktion, die am Mittwoch im Theater Haus im Park zur Aufführung kam und heute um 20 Uhr noch einmal wiederholt wird, hat Regisseur Max Claessen den Stoff streckenweise bis zur Unkenntlichkeit frei interpretiert. Das beginnt schon bei der Besetzung des Ein-Personen-Stücks. Claessen hat dem namen-losen Orchesterbeamten (Stephan Schad) kurzerhand einen Bühnenpartner (Henning Kiehn) verpasst, der jedoch mit dem sprechenden Protagonisten nicht interagiert, sondern - begnade-ter Einfall - immer und immer wieder Kontrabass spielt. Nun besteht aber eine der tragenden Pointen in Süskinds "Kontrabass" eben gerade darin, dass - mit einer winzigkurzen Ausnahme - kein Ton auf dem Instrument erklingt. Ein Banause, der da kleinlich wäre. Nur: Was ist das überhaupt für ein seltsamer Zeitgenosse, der sich da im Wohnzimmer unseres Antihelden akustisch breit macht? Richtig geraten: Mit dieser lapidaren Frage werden wir allein gelassen. Stattdessen müssen wir erleben, dass der Kerl nicht lange vor Schluss zum Bass auch noch ein Liedchen anstimmt: eine altmodisch verswingte Fassung des Eurythmics-Popsongs "Miracle of Love". Ganz großer Trost: Auch Firlefanz wie Disco-Kugel und Girlanden können die hohe Sprachgewalt von Süskinds Werk nicht entzaubern. Ein junges Paar aus dem Publikum trällerte beim Hinausgehen dennoch "Miracle of Love". Recht so. Man sollte sich von so einem Mist nicht den Abend verderben lassen.


MAINPOST

28.11.2014

ALLEINE MIT DEM KONTRABASS

Patrick Süskinds einziger Theatertext „Der Kontrabass“ ist „ein so einfaches Stück, das einem doch alles erklärt: die Musik, die Gesellschaft, das Leben“, schrieb das Hamburger Abendblatt. Süskind wurde durch seinen Roman „Das Parfüm“, der auch verfilmt wurde, weltberühmt.

Patrick Süskinds einziger Theatertext „Der Kontrabass“ ist „ein so einfaches Stück, das einem doch alles erklärt: die Musik, die Gesellschaft, das Leben“, schrieb das Hamburger Abendblatt. Süskind wurde durch seinen Roman „Das Parfüm“, der auch verfilmt wurde, weltberühmt.

Der Autor über seine Arbeit: „Das Stück Kontrabass schrieb ich im Sommer 1980. Es geht darin um das Dasein eines Mannes in seinem kleinen Zimmer. Ich konnte bei der Abfassung insofern auf eigene Erfahrung zurückgreifen, als auch ich den größten Teil meines Lebens in immer kleiner werdenden Zimmern verbringe, die zu verlassen mir immer schwerer fällt.“

Seit zwei Jahren wird „Der Kontrabass“ in Hamburg vom Publikum begeistert gefeiert – zunächst im Schauspielhaus, dann in den Kammerspielen. Die gefeierte Produktion ist in der Inszenierung von Max Claessen jeweils um 19.30 Uhr am Montag, 26. Januar (Gemischtes Abo C und freier Verkauf), Dienstag, 27. Januar (Gemischtes Abo E und freier Verkauf), am Mittwoch, 28. Januar (Gemischtes Abo A und freier Verkauf) und am Donnerstag, 29. Januar (Gemischtes Abo D und freier Verkauf), zu erleben. Es spielen Stephan Schad und Henning Kiehn am Kontrabass.

Der vielseitige Schauspieler Stephan Schad ist seit fast 15 Jahren in vielen Fernsehproduk-tionen zu sehen: Tatort, Großstadtrevier, Soko, Stromberg sind nur wenige Beispiele. Für „Mörderische Entscheidung“ wurde er 2014 mit dem Grimmepreis ausgezeichnet. Das Theater ist aber immer fester Bestandteil geblieben. Erste Stationen seiner Karriere waren das Staatstheater Braunschweig, die Städtischen Bühnen Krefeld/Mönchengladbach und das Staatstheater Karlsruhe. Nach Engagements am Schauspiel Frankfurt und am Nationaltheater Mannheim gehört Stephan Schad von 1999 bis 2009 dem Ensemble des Thalia Theaters an. Hier spielt er unter anderem in Jürgen Flimms Inszenierung der „Drei Schwestern“, im „Thalia Vista Social Club“ von Erik Gedeon, Lars Krogstad in Henrik Ibsens „Nora“ (Regie Stephan Kimmig), in „Unschuld“ von Dea Loher (Regie Andreas Kriegenburg) und den Herzog in „Maß für Maß“ von Shakespeare (Regie Stefan Bachmann).

Wir erleben im „Kontrabass“ den tristen Nachmittag eines Mannes, allein in seinem schallisolierten Zimmer mit ein paar Bier und einem Kontrabass. Der namenlose Antiheld, im Orchester der Staatsoper verbeamtet auf Lebenszeit, scheinbar dazu verflucht, mit diesem größten aller Streichinstrumente zu leben und zu arbeiten, begegnet seiner Einsamkeit und sucht die Schuld seines Scheiterns bei diesem sperrigen und doch unverzichtbarsten aller Orchesterinstrumente, dem Kontrabass.

Die Komödie des biederen Orchesterbeamten entpuppt sich als der Blues eines zu kurz Gekommenen. Sein wortreicher Schrei nach Anerkennung und Liebe verdichtet sich zur Vision der Eroberung der chancenlosen Liebe zur Sopranistin Sarah.



Fuldaer Zeitung

27.01.15

Die Leichtigkeit menschlicher Abgründe:

„Der Kontrabass" im Schlosstheater


FULDA. Ein grandioser Schauspieler, ein genialer Theatertext und eine perfekte Regie: Stephan Schad macht am Sonntagabend im Schlosstheater – gemeinsam mit Henning Kiehn – Patrick Süskinds „Der Kontrabass" in Max Claessens Inszenierung zum Bühnen-ereignis.


Von unserem Mitarbeiter Christoph A. Brandner


Eine Komödie nennt der Autor, der mit seinem Roman „Das Parfüm" zu Weltruhm gelangte, sein 1981 im Bayerischen Staatsschauspiel uraufgeführtes Werk.


Einerseits ist „Der Kontrabass" ein 70-Minuten-Monolog-Dramolett, andererseits ein Zwei-Personen-Stück wegen des Instruments als gleichberechtigtem Partner. Regisseur Claes-sen erweitert die Vorlage zu einem knapp zweistündigen, pausenlosen Drama, in dem Kon-trabassist Kiehn musiziert, singt (zwei wunderbar melancholische Songs) und mit unglaub-lich stoisch-herausforderndem Gesichtsausdruck die Süskind-Figur kommentiert.


Stephan Schad begeistert in der Hauptrolle.


Die unbegnadete Künstler- Figur ist eine Paraderolle für jeden hoch sensiblen Charakter-darsteller: Stephan Schad, ein Virtuose schier unendlich vieler Facetten in Sprache, Mimik und Gestik, begeistert auch mit seiner Kunst der Pause. Immer wieder baut er starke Span-nungsbögen auf und balanciert mit Zwischentönen und Stimmungen. Stephan Schad zeich-net das beklemmend-unterhaltsame Psychogramm eines im Leben Zu-Kurz-Gekommenen, in dem Neid, Verachtung, Wut, Verzweiflung und Liebe brodeln. Das Porträt des verbittert-egozentrischen Nörglers reichert Schad mit Sarkasmus und lakonischem Humor an.


Leichtigkeit trotz menschlicher Abgründe.


Damit erhält sein und Süskinds Blick in menschliche Abgründe eine faszinierende Leichtig-keit. Mit verzweifelt-hilflosem Begehren und mit hasenfüßigem Mut spielt Schad die Vision des unselig Liebenden von der großen Tat, die ihm den Weg zur Angebeteten bahnen soll. Gleichwohl: Das Publikum huldigt dem fantastischen Stephan Schad und dem Top-Musiker Henning Kiehn mit Ovationen.


 

„ ... das macht mir manchmal eine solche Angst, ich ... ich ... ich trau mich manchmal nicht mehr aus dem Haus, so sicher bin ich.“

                                                                          Der Kontrabass

Presse